10 TWEENER #01 ———— TITELSTORY Bei der Suche nach Gründen für die teilweise mäßigen deutschen Ergebnisse hört man häufig die Attribute Bequemlichkeit, fehlender Biss, mangelnde Sieger- mentalität. Aber auch fehlendes Geld spielt eine Rolle, das durch die Ausrichtung von Grand Slam- oder Mas- ters-Turnieren in die ausländischen Verbände gespült wird – und dadurch andere Trainings- und Betreuungs- möglichkeiten während der Saison ermöglicht. Die Rede ist von einem dreistelligen Millionenbetrag. Dies sieht auch Lars Pörschke ähnlich. Der HTV-Vize-Präsi- dent, Leiter des Ressorts Jugend, Spitzensport und Ausbildung, war selbst früher professioneller Spieler, und konstatiert: »Viele deutsche Sportler sind zu weich. Der Wille, den Sport als Chance zu sehen, durch Erfol- ge sein Leben zu ändern, ist in anderen Ländern aus- geprägter.« Sein Kollege, Björn Simon ergänzt: »Wir loben und hypen die guten Spieler vielleicht zu früh.« In Deutschland gäbe es zwar »viele gute Spieler, aber zu wenige Wettkämpfer«. Auch mit der Selbstkritik sei es in Deutschland oft nicht weit her. Aber auch strukturelle Probleme haben die beiden HTV-Verantwortlichen ausgemacht. Hierbei sei drin- gend eine Professionalisierung nötig. »Wir müssten an der Basis anfangen und die Arbeit der Eltern, Schulen und Vereine intensivieren«, erklärt Pörschke. Doch bei der finanziellen Unterstützung des Sports gäbe es oft Widerstände, da die akute Notwendigkeit unterschätzt werde, ergänzt Björn Simon. »Sport und Bewegung ist immer Prävention und wird daher oft nicht als dringlich eingestuft.« Als Beispiel, wie es besser laufen könnte, nennt Simon die Sport-Kultur in Südkorea, wo »täg- lich, egal bei welchem Wetter«, mindestens 15 Minuten Bewegung und Tanz auf dem Schulhof auf dem Lehr- plan stünden. Das prägt fürs Leben. In Deutschland hingegen sind meist nur zwei Stunden Sport pro Wo- che vorgesehen – eine fatale Schieflage für die motori- sche Entwicklung. Auch seien viele Schüler nach einem langen Schultag bis in den Nachmittag nicht mehr zu Höchstleistungen auf dem Platz in der Lage. »Es gibt in Deutschland auch zu wenige Sportschulen«, sekundiert Lars Pörschke. Ein früherer Fokus auf den Sport wäre also hilfreich. Generell hinterfrage der hessische Tennisverband sich und seine Methoden täglich, um dieser latenten Lax- heit entgegenzuwirken. »Wie intensiv und welche Spie- ler fördern wir idealerweise?« Dazu zähle der Beginn der Förderung genauso wie die Belastungssteuerung, um individuell das Beste aus den Spielern herauszukit- zeln. In diesem Jahr stehen siebzehn top-Nachwuchs- kräfte für zwölf Monate im Kader des HTV, der jüngste ist Jahrgang 2010, der älteste 2005. Und deren Ergeb- nisse können sich sehen lassen. Bei den deutschen Ju- gendhallenmeisterschaften der U14 bis U18 in Essen im November, zählte der HTV zu den erfolgreichsten Verbänden. Die Chefin des deutschen Damentennis beim DTB, Barbara Rittner, sieht die Lage des deutschen Tennis ebenfalls differenziert. Einerseits gäbe es überragende Ergebnisse, zum Beispiel bei den Jugend Grand Slams, wo 2021 das Finale von Wimbledon, das Doppel-Fi- nale der US Open sowie einige Viertelfinale erreicht worden seien. Zudem empfiehlt sie, »ältere« Talente wie Rudi Mollecker, Niklas Kuhn oder Alexandra Vecic noch nicht abzuschreiben. Auch von jüngeren Spie- lern wie Marko Topo oder Max Rehberg könne noch einiges erwartet werden. Andererseits sieht aber auch Rittner durch den Generationswechsel und das Karrie- reende von Spitzenspielerinnen wie Angelique Kerber und Andrea Petkovic, sowie die Leistungslücke hinter Alex Zverev, eine Herausforderung für ältere und nach- strebende SpielerInnen, die noch bestanden werden müsse. Rittner sieht bei ihnen ebenfalls eher menta- le als spielerische Defizite. »Die junge Generation ist sehr verwöhnt und im Vergleich mit Spielerinnen wie Kerber und Petkovic manchmal zu früh mit der eigenen Leistung zufrieden«, sagt Rittner am Telefon. Teilweise trage zu der Entwicklung auch eine zu hohe Bezahlung bei. »Durch die hohe Vergütung in der Tennis-Bundes- liga, wird manchem deutschen Spieler die Ambition für die Teilnahme an internationalen Turnieren geraubt.« Die Verantwortung dafür, dass der Nachwuchs Prob- leme habe, »sich aus der Komfortzone zu bewegen« sieht Rittner aber auch bei genügsamen Trainern und Eltern. »Wir sind alle mit Schuld an der jetzigen Situati- on!« Der Nachwuchs müsse aber verstehen, dass Härte gegen sich selbst und das Überwinden des inneren Schweinehunds dazugehörten. Dies sei der Schlüssel zum Erfolg.